Übungsaufgaben nach dem ersten Seminar mit Formelsammlung

Dieses Online-Angebot soll Ihnen eine Möglichkeit bieten, das neu Erlernte aus dem Seminar zu wiederholen und anzuwenden. Zu diesem Zweck finden Sie hier drei Aufgaben mit klinischem Bezug, die Sie durchrechnen können.
Dabei arbeiten Sie mit konkreten Zahlen zu Prävalenz, Sensitivität und Spezifität; ein Teil dieser Angaben wurde aus Studien übernommen, der andere Teil ist hypothetisch, basiert aber ebenfalls auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie können daher alle Zahlen als realistisch ansehen. Entnehmen Sie bitte den Anmerkungen unter dem jeweiligen Fall, welche Angaben übernommen und welche konstruiert sind. Die vollständigen Quellenangaben finden Sie am Ende der Übungseinheit.

Formelsammlung

Um die nachfolgenden Aufgaben bearbeiten zu können, benötigen Sie zwei mathematische Formeln, die Sie bereits im Seminar kennengelernt haben. Für die Rechnung können Sie selbstverständlich einen Taschenrechner verwenden.
Anstelle der Formeln können Sie auch mithilfe von Baumdiagrammen rechnen; beachten Sie dabei aber unbedingt, keine Rundungen anzuwenden und ggf. auf Brüche oder Dezimalzahlen zurückzugreifen.


Bayes-Theorem: Positive Prädiktion

\[\begin{equation*} Positive\:Prädiktion = \frac{Sensitivität * Prävalenz}{Sensitivität * Prävalenz + (1 - Spezifität) * (1 - Prävalenz)} \end{equation*}\]

Denken Sie daran, dass die Prävalenz der Prätestwahrscheinlichkeit entspricht, und daher je nach klinischer Situation angepasst werden muss.


Bayes-Theorem: Widersprüchliche Testergebnisse

\[\begin{equation*} 1 - Negative\:Prädiktion = \frac{(1 - Sensitivität) * Prävalenz}{(1 - Sensitivität) * Prävalenz + Spezifität * (1 - Prävalenz)} \end{equation*}\]

Denken Sie daran, dass die Prävalenz der Prätestwahrscheinlichkeit entspricht, und daher je nach klinischer Situation angepasst werden muss.


Fall 1: Chlamydien

Sie sind Gynäkologin in einer Gemeinschaftspraxis im Herzen des Ruhrgebiets. Gestern hat Sie eine aufgeregte Patientin angerufen: Mona Schmidt ist eine 18-jährige Schülerin, die sich im Internet einen Chlamydienselbsttest gekauft und anschließend positiv getestet hat. Sie hat danach im Internet gelesen, dass die Schnelltests ja sehr unsicher seien, das Testergebnis also vielleicht gar nicht richtig ist?
Sie gehen von einer durchschnittlichen Sensitivität von 48% und einer durchschnittlichen Spezifität von 98% eines Chlamydien-Schnelltests aus1. Anhand einer jüngeren Studie können Sie außerdem die Prävalenz auf 7,5% schätzen2.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass das positive Testergebnis stimmt und die Patientin tatsächlich an einer Chlamydieninfektion erkrankt ist?
Überlegen Sie sich vor Ihrer Rechnung eine eigene Schätzung:

Errechnetes Ergebnis:
Geben Sie das Ergebnis als Dezimalzahl mit drei Nachkommastellen an. Technisch werden nur Kommata, keine Punkte erkannt.


Lösung

0,661


Als Goldstandard der Diagnostik gelten die Nukleinsäure-Amplifikations-Techniken. Daher schicken Sie eine Morgenurinprobe ins Labor, erhalten jedoch zügig ein weiteres positives Testergebnis. In diesem Fall liegt die Sensitivität bei 96,5% und die Spezifität bei 99,2%3. Wie hoch ist der Positive Prädiktive Wert (PPW) jetzt?
Geben Sie das Ergebnis als Dezimalzahl mit drei Nachkommastellen an. Technisch werden nur Kommata, keine Punkte korrekt erkannt.


Lösung

0,996


1: Angaben entnommen aus: Grillo-Ardila, C.F., Torres, M., Gaitán, H.G.(2020). Rapid point of care test for detecting urogenital Chlamydia trachomatis infection in nonpregnant women and men at reproductive age (Review). Cochrane Database of Systematic Reviews, 1.
2: Angabe entnommen aus: Skaltz-Rorowski, A., Potthoff, A., Nambiar, S., Wach, J., Kayser, A., Brockmeyer, N.H. (2020). Sexual behaviour, STI knowledge and Chlamydia trachomatis (CT) and Neisseria gonorrhoeae (NG) prevalence in an asymptomatic cohort in Ruhr-area, Germany: PreYoungGo study. Journal of the European Academy of Dermatoloy and Venereology, 35 (1), 241-246.
3: Angaben ausgedacht, basierend auf: Gaydos, C. A., Theodore, M., Dalesio, N., Wood, B. J., Quinn, T. C. (2004). Comparison of Three Nucleic Acid Amplification Tests for Detection of Chlamydia trachomatis in Urine Specimens. Journal of Clinical Microbiology, 42 (7), 3041-3045.


Fall 2: GAS-Tonsillitis

Der 7-jährige Benedikt erscheint in Ihrer Kinderarztpraxis: Er klagt über starke Halsschmerzen und ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl. Sein Vater berichtet außerdem über anhaltendes Fieber (bis zu 39,1°C oral); Fragen nach Schnupfen oder Husten werden verneint.
In der körperlichen Untersuchung können Sie die hohe Körpertemperatur bestätigen (38,5°C aurikulär). Lungen- und Herzauskultation sind unauffällig; auch die zervikalen Lymphknoten sind nicht geschwollen. Beim Blick in Benedikts Rachen sehen Sie beidseits große, geschwollene und eitrige Mandeln. Sie stellen den Verdacht auf eine GAS-Tonsillitis1 und führen einen Schnelltest durch, welcher negativ ausfällt.
Die Sensitivität des Tests liegt bei 85% und die Spezifität bei 95%2.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Benedikt trotz negativen Tests an einer GAS-Tonsillitis leidet?

Um die Frage beantworten zu können, müssen Sie die Vortestwahrscheinlichkeit bestimmen. Hierfür recherchieren Sie bitte eigenständig den McIsaac-Score; dieser wird Ihnen im Verlauf Ihrer weiteren Ausbildung sicherlich noch mehrfach begegnen.
Die Vortestwahrscheinlichkeit, mit der Sie weiterrechnen können, wird Ihnen angezeigt, sobald Sie den Score korrekt bestimmt haben.

Der McIsaac-Score beträgt in diesem Fall…


Lösung

4


Wie hoch ist nun Wahrscheinlichkeit, dass der Patient trotz negativen Schnelltests dennoch an einer GAS-Tonsillitis erkrankt ist?
Überlegen Sie sich vorab erneut eine eigene Schätzung:

Errechnetes Ergebnis:
Geben Sie das Ergebnis mit drei Nachkommastellen an. Technisch werden nur Kommata, keine Punkte korrekt erkannt.


Lösung

0,151



1: “GAS” steht für “Gruppe-A-Streptokokken”
2: Angaben ausgedacht, basierend auf: Gerber, M. A., Shulman, S. T. (2004). Rapid Diagnosis of Pharyngitis Caused by Group A Streptococci. Clinical Microbiology Reviews, 17 (3), 571-580.
3: Angabe vereinfacht und gerundet entnommen aus: McIsaac, W. J., White, D., Tannenbaum, D., Low, D. (1998). A clinical score to reduce unnecessary antibiotic use in patients with sore throat. Canadian Medical Association Journal, 158 (1), 75-83.


Fall 3: Asthma bronchiale

Sie arbeiten als Hausarzt in einer ländlich gelegenen Praxis im Münsterland. Frau Anna Kulov, eine 46-jährige Architektin, sucht mit den folgenden Beschwerden Ihren Rat auf:
Seit Monaten bereits pfeife es manchmal beim Atmen, ab und zu bekomme sie plötzlich sogar nur noch ganz schlecht Luft! Husten müsse sie auch ständig.
Die Symptomatik lässt Sie an Asthma bronchiale denken. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit nur aufgrund der Symptomatik, dass Frau Kulov tatsächlich daran leidet?

12-Monats-Prävalenz bei erwachsenen Frauen in Deutschland: 7,1%1

Symptom2 Sensitivität Spezifität
selbst-berichtetes Pfeifen beim Atmen 52,2% 53,1%
Atemnotattacken 40,0% 78,4%
Husten 43,8% 31,5%

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit aufgrund der angegebenen Daten, dass Frau Kulov an Asthma Bronchiale erkrankt ist?
Hier können Sie wieder eine eigene Schätzung eintragen:

Errechnetes Ergebnis:
Geben Sie das Endergebnis als Dezimalzahl mit drei Nachkommastellen an. Alle Zwischenergebnisse sollten nicht gerundet werden. Technisch werden nur Kommata, keine Punkte korrekt erkannt.


Lösung

Zwischenergebnisse
PPW Prävalenz und selbst-berichtetes Pfeifen 0,07839446
PPW selbst-berichtetes Pfeifen und Atemnot 0,13608700

Endergebnis: 0,092


1: Angabe entnommen aus: Steppuhn, H., Kuhnert, R., Scheidt-Nave, C. (2017). 12-Monats-Prävalenz von Asthma bronchiale bei Erwachsenen in Deutschland. Journal of Health Monitoring, 2 (3), 36-45.
2: Die Angaben beziehen sich auf das hausärztliche Setting; in anderen Settings gelten andere Daten. Entnommen aus: Schneider, A., Ay, M., Faderl, B., Linde, K., Wagenpfeil, S. (2012). Diagnostic accuracy of clinical symptoms in obstructive airway diseases varied within different health care sectors. Journal of Clinial Epidemiology, 65 (8), 846-854.


Quellen

Fall 1

Gaydos, C. A., Theodore, M., Dalesio, N., Wood, B. J., Quinn, T. C. (2004). Comparison of Three Nucleic Acid Amplification Tests for Detection of Chlamydia trachomatis in Urine Specimens. Journal of Clinical Microbiology, 42 (7), 3041-3045.

Grillo-Ardila, C.F., Torres, M., Gaitán, H.G.(2020). Rapid point of care test for detecting urogenital Chlamydia trachomatis infection in nonpregnant women and men at reproductive age (Review). Cochrane Database of Systematic Reviews, 1.

Robert-Koch-Institut. (21.12.2010). Chlamydiosen (Teil 1): Erkrankungen durch Chlamydia trachomatis. RKI-Ratgeber. URL: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Chlamydiosen_Teil1.html (Letzter Zugriff: 17.03.2021).

Skaltz-Rorowski, A., Potthoff, A., Nambiar, S., Wach, J., Kayser, A., Brockmeyer, N.H. (2020). Sexual behaviour, STI knowledge and Chlamydia trachomatis (CT) and Neisseria gonorrhoeae (NG) prevalence in an asymptomatic cohort in Ruhr-area, Germany: PreYoungGo study. Journal of the European Academy of Dermatoloy and Venereology, 35 (1), 241-246.

Fall 2

Gerber, M. A., Shulman, S. T. (2004). Rapid Diagnosis of Pharyngitis Caused by Group A Streptococci. Clinical Microbiology Reviews, 17 (3), 571-580.

McIsaac, W. J., White, D., Tannenbaum, D., Low, D. (1998). A clinical score to reduce unnecessary antibiotic use in patients with sore throat. Canadian Medical Association Journal, 158 (1), 75-83.

Robert-Koch-Institut. (02.05.2018). Streptococcus pyogenes-Infektionen. RKI-Ratgeber. URL: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Streptococcus_pyogenes.html (letzter Zugriff: 16.03.2021).

Fall 3

Pakkasela, J., Ilmarinen, P., Honkamäki, J., Tuomisto, L. E., Andersén, H., Piirilä, P., Hisinger-Mölkänen, H., Sovijärvi, A., Backman, H., Lundbäck, B., Rönmark, E., Kankaanranta, H., Lehtimäki, L. (2020). Age-specific incidence of allergic and non-allergic asthma. BMC Pulmonary Medicine, 20 (1):9.

Schneider, A., Ay, M., Faderl, B., Linde, K., Wagenpfeil, S. (2012). Diagnostic accuracy of clinical symptoms in obstructive airway diseases varied within different health care sectors. Journal of Clinial Epidemiology, 65 (8), 846-854.

Steppuhn, H., Kuhnert, R., Scheidt-Nave, C. (2017). 12-Monats-Prävalenz von Asthma bronchiale bei Erwachsenen in Deutschland. Journal of Health Monitoring, 2 (3), 36-45.