2 Grundlagen

2.1 Medizinische Diagnostik als Testverfahren

Wie Sie wissen, besteht die Klinische Untersuchung aus Anamnese und körperlicher Untersuchung.

Nach Levine stellen Ärzte bei der Anamnese infrage kommmende Differenzialdiagnosen über die Erkrankung der Patienten auf. In der nachfolgenden körperlichen Untersuchung werden die Differenzialdiagnosen getestet. Auch die weiter folgenden Untersuchungen (Blutuntersuchungen, Bildgebung) dienen dazu, die ursprünglich aufgestellten Differenzialdiagnosen zu testen. Wie Sie sehen, geht es primär darum, Differenzialdiagnosen zu testen. Die Aussagekraft eines Test beschreiben wir durch seine Sensitivität (dt.: Feinfühligkeit – der Anteil an den Kranken, die durch den Test aufgedeckt werden) und Spezifität (dt.: Besonderheit – der Anteil an den Gesunden, bei denen der Test negativ ausfällt). Man spricht auch von der sogenannten Testgüte eines Tests. Sensitivität und Spezifität werden üblicherweise als Prozentwert ausgedrückt.

2.2 Klinische Anwendung

Es ist nicht leicht, aus den beiden einfachen Parametern Sensitivität und Spezifität Konsequenzen für ein positives oder negatives Testergebnis zu ziehen. Eine praktische Alternative bietet die sog. Likelihood-Ratio (LR). Sie wird sowohl für positive als auch für negative Testergebnisse berechnet und gibt an, um wie viel wahrscheinlicher die Diagnose “krank” (oder “gesund”) unter einer echten Erkrankung versus unter keiner Erkrankung ist.

Sie wird relativ einfach aus Sensitivität und Spezifität berechnet.

Für positive Testergebnisse: \(LR+ = Sensitivität / (1-Spezifität)\)

Für negative Testergebnisse: \(LR- = (1-Sensitivität) / Spezifität\)

Für die Interpretation bedient man sich etablierter Referenzwerte, die Sie der folgenden Grafik 2.1 entnehmen können.

Wissenschaftliche Bezeichnung von Werten der Likelihood-Ratio von medizinischen Test

Abbildung 2.1: Wissenschaftliche Bezeichnung von Werten der Likelihood-Ratio von medizinischen Test

Die Werte für die positive Likelihood-Ratio sollten größer 1 (bis unendlich), die für die negative Likelihood-Ratio kleiner 1 (bis 0) sein.

Für den medizinischen Alltag (als Faustregel) können Sie sich merken, dass Testverfahren mit Werten einer positiven Likelihood-Ratio (LR+) von über 2,5 Ihnen für Ihre Diagnostik einer Krankheit helfen. Genauso können Testverfahren mit einer negativen Likelihood-Ratio (LR-) von kleiner 0,4 Ihnen beim Ausschluss der Verdachtsdiagnose (bzw. der Vergabe der Diagnose “gesund”) helfen.