3 Die aktuelle Lage

“Wir sind in einer Situation die außergewöhnlich ist, in jeder Beziehung […]” (Angela Merkel, Bundeskanzlerin, 12.03.2020)

Damit Ihr die Bedeutsamkeit der Coronavirus-Pandemie erfassen könnt und für sich oder andere entsprechende Argumente habt, folgt hier eine Auflistung der relevanten Punkte:

Das Virus

Das für die aktuelle Coronavirus-Epidemie verantwortliche Virus heißt genau SARS-CoV-2. Es verursacht nach aktuellem Kenntnisstand die Erkrankung COVID-19 (für die englische Bezeichnung “Corona virus disease 2019”).

Die gerade benutzte Bezeichung “Coronavirus” ist eigentlich zu allgemein, da es sehr viele verschiedene Coronaviren gibt, die auch noch unterschiedlich krankmachend sind. Wichtig an der Bezeichnung ist aber, dass sie die besondere Form des Virus ausdrückt (siehe Abbildung 3.1): bei genauem hinsehen kann man erkennen, das von der Hülle des Virus kleine Spitzen nach außen ragen und so eine Art Kranz (lat: corona) bilden.

Elektronenmikroskopische Darstellung des Coronavirus **SARS-CoV-2**; by NIAID Rocky Mountain Laboratories (RML), U.S. NIH - https://www.niaid.nih.gov/news-events/novel-coronavirus-sarscov2-images, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=87089605

Figure 3.1: Elektronenmikroskopische Darstellung des Coronavirus SARS-CoV-2; by NIAID Rocky Mountain Laboratories (RML), U.S. NIH - https://www.niaid.nih.gov/news-events/novel-coronavirus-sarscov2-images, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=87089605

3.1 Verbreitung des Virus

Seit dem 20. Januar 2020 wurde immer deutlicher, dass sich das Virus von Mensch zu Mensch weiterverbreitet [5] und man weiß inzwischen, dass der Hauptübertragungsweg über Tröpchen – also Niesen und Husten – erfolgt. So liegt die Entfernung bei einer typischen Ansteckung von Mensch zu Mensch bei bis zu zwei Metern.

Allerdings hat man auch im Stuhl von infizierten Patienten Viruspartikel nachweisen könnnen [6]. Ob das bedeutet, dass das Virus auch über den Stuhl verbreitet werden kann, ist noch nicht abschließend geklärt (siehe Website der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung https://www.infektionsschutz.de/coronavirus-sars-cov-2.html).

Theoretisch (!) ist es möglich, dass man sich bei Menschen ansteckt, die sich selbst schon angesteckt haben, aber noch nicht oder nicht erkrankt sind. Dies ist aber noch nicht bewiesen [7] und die Weltgesundheitsorganisation geht aktuell davon aus, dass dieser Übertragungsweg wahrscheinlich keine große Rolle spielt [8].

Wir haben es mit einem sog. “dynamischen Ausbruchsgeschehen” zu tun. Aufgrund der nicht vorhandenen Impfmöglichkeiten breitet sich das Virus ungehemmt aus und so ist es das Ziel, eben diese Ausbreitung zu verlangsamen. Das bedeutet, dass fast alle Menschen – auch Ihr (!) – diese Infektion bekommen werden. Es geht darum, die Anzahl der schweren Erkrankungen pro Woche so zu verringern, dass die Krankenhäuser damit fertig werden können.

Der entscheidende und aktuell auch wichtigste Übertragungsweg ist also die Tröpfcheninfektion, also über Anhusten, Anniesen und Händeschütteln. In der Konsequenz sollte “wo immer es möglich ist, auf Sozialkontakte verzichtet werden […]” (Angela Merkel).

Dementsprechend ist für Euch die konsequente Anwendung und Umsetzung der Basishygiene, v.a. der Händehygiene mit und ohne Desinfektionsmittel wichtig. Dazu kommt die korrekte Verwendung der persönlichen Schutzausrüstung [PSA; Schutzkittel, Einweghandschuhe, Atemschutzmaske (FFP2 bzw. FFP3) und Schutzbrille], insbesondere das kontrollierte Anlegen und das korrekte Ablegen (mit mehrfacher Händedesinfektion).

Für den Alltag weiß man inzwischen, dass neben der Einhaltung von Abstand auch ein chirurgischer Mund-Nase-Schutz effektiv Coronaviren abhalten kann. Bei Stoffmasken gilt dies nur für solche mit 6-12 (!, Baumwoll-)Lagen ([9]).

Zahlenmäßig abgebildet wird die Übertragung von Mensch zu Mensch über die Reproduktionszahl R, die angibt, wie viele andere Personen eine infizierte Person ansteckt. So deuten Werte > 1 auf eine Ausbreitung der Erkrankung hin. Ist z.B. R = 2, steckt jede infizierte Person im Durchschnitt zwei weitere Personen an. Leider ist die Berechnung der Reproduktionszahl keineswegs trivial. Sie erfordert einige wichtige Annahmen und ist daher mit einer erheblichen statistischen Unsicherheit behaftet (siehe Unstatistik des Monats April). Entscheidend dürfte aber der Verlauf dieser Zahl sein. Dementsprechend findet Ihr hier eine aktualisierte Abbildung der R-Werte bis vor ein paar Tagen:

Verlauf des Reproduktionszahl R (hier R~t~, basierend auf wöchentlichen Werten) in Deutschland; Berechnung mit dem [SECIR-Modell](https://gitlab.com/simm/covid19/secir), Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig

Figure 3.2: Verlauf des Reproduktionszahl R (hier Rt, basierend auf wöchentlichen Werten) in Deutschland; Berechnung mit dem SECIR-Modell, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig

3.2 Die Lage bei uns

Sicher betreffen uns die augenblicklichen Zustände in Italien als europäisches Nachbar- und beliebtes Urlaubsland besonders. Dementsprechend findet Ihr in Abbildung 3.3 den Vergleich der Erkrankungszahlen bis gestern.

Bestätigte Fälle von COVID-19 in Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien

Figure 3.3: Bestätigte Fälle von COVID-19 in Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien

Da Italien aber weniger Einwohner als Deutschland hat, ist es natürlich wichtiger, die Erkrankungszahlen im Verhältnis zur Einwohnerzahl zu betrachten. Deswegen sind in der unteren Abbildung 3.4 die Erkrankungsfälle pro tausend Einwohner aufgeführt. Um diese Zahlen besser deuten zu können, haben wir noch die entsprechenden Maßnahmen der Regierungen als horizontale Linien eingefügt.

Bestätigte Fälle von COVID-19 in Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien

Figure 3.4: Bestätigte Fälle von COVID-19 in Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien

Es macht Sinn, ab einem bestimmten Ausbreitungsgrad einer Erkrankung nicht mehr die Zahl der Infizierten (die sowieso mit einer hohen Unsicherheit behaftet sind), sondern die Zahl der Toten als Kennzahl für die Belastung des Gesundheitssystems zu nehmen. Auch hier ist es schlau, dies im Verhältnis zur Einwohnerzahl zu betrachten.

Bitte seid darauf vorbereitet, dass ab einem noch unbestimmten Zeitpunkt die Totenzahlen in den Mittelpunkt rücken. Das ist medizinisch absolut sinnvoll, macht aber natürlich etwas mit den Menschen. Wichtig ist, dass Ihr dies nicht als Versagen des Gesundheitssystems auffasst.

3.3 Zu erwartende Todeszahlen

Man geht im Augenblick davon aus, dass ca. 60-70 % der Bevölkerung innerhalb der nächsten beiden Jahre von dem Virus infiziert werden können. Die Fall-Verstorbenen-Anteil einer nachgewiesenen COVID-19-Infektion wird bei einem intakten Gesundheitswesen im Augenblick mit ca. 0,7 % beziffert.

Hier interessiert uns aber viel mehr die sog. Letalität (die “Tödlichkeit”, beschreibt die Anzahl der verstorbenen Fälle als Anteil der Zahl der erkrankten Fälle) von COVID-19. Also auch von den erkrankten Fällen, die nicht getestet worden sind. Man nimmt an, dass die Zahl der erkrankten Fälle um einen Faktor 4,5–11,1 unterschätzt wird (siehe RKI). Bei einem Faktor 7 läge die Letalität bei ca. 0,1 %.

Dies bedeutet unter den aktuellen Bedingungen, dass wir im Rahmen dieser Pandemie in Deutschland mit ca. 50.000 zusätzlichen Toten zu rechnen haben. Für die Europäische Union (ca. 450 Millionen Einwohner) wären das ca. 270.000 zusätzliche Tote.

Dies sind mehr Tote als bei den beiden Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki am Ende des 2. Weltkriegs (ca. 129.000 bis 226.000 Opfer, Quelle: WIKIPEDIA)!

Zur Info: pro Jahr sterben in Deutschland 954.874 Menschen (in 2018, nach statista.de), das sind 2.616 pro Tag. Man wird im Rahmen der Pandemie kaum unterscheiden können, ob eine Person an COVID-19 oder mit COVID-19 gestorben ist. Dies kann man erst anhand späterer Analysen sehen.

Hier der aktuelle Stand (zur besseren Vergleichbarkeit im Vergleich mit Italien, Frankreich und Großbritannien):

Bestätigte Todesfälle von COVID-19 in Deutschland, zur besseren Vergleichbarkeit im Vergleich mit Italien, Frankreich und Großbritannien

Figure 3.5: Bestätigte Todesfälle von COVID-19 in Deutschland, zur besseren Vergleichbarkeit im Vergleich mit Italien, Frankreich und Großbritannien

Um die Entwicklung der Todesfälle weltweit vergleichen zu können, möchte ich die Webseite Our World in Data empfehlen, die z.B. folgende Grafik beinhaltet:

Figure 3.6: Entwicklung der bestätigten Todesfälle pro Millionen Einwohner seit dem 5. Todesfall im jeweiligen Land

(Sehr eindrücklich ist die chronologische Animation, die Ihr über den - Button starten könnt.)

3.4 ABER …

Bei dem Virus SARS-CoV-2 handelt es sich NICHT um EBOLA!

Ich will damit sagen, dass das Virus trotzt der oben genannten Zahlen noch – relativ gesehen (!) – harmlos ist.

Dementsprechend gibt es uns die Möglichkeit, viele Dinge zu lernen, die bei einem Ausbruch einer weitaus gefährlicheren Epidemie notwendig sein würden.