In eigener Sache …

Wieso, weshalb, warum?

Meine Frau und ich wollten eigentlich das Faschingswochenende in einem Wellness-Hotel genießen und hatten endlich mal Zeit, richtig die Zeitung zu lesen …

Ein halbes Jahr vorher hatte ich mich ausführlich mit dem (normalerweise mangelhaftem) Verständnis von Exponentialkurven beschäftigt und einen Blogbeitrag geschrieben, bei dem es um die Vermehrung der Kaninchen auf der Wiese hinter dem Studienhospital gehen sollte. Ich wollte so den Studierenden die Wucht einer exponentiellen Vermehrung nahe bringen.

An besagtem Faschingswochenende berichtete die lokale Zeitung über die enorme Steigerung der Erkrankungszahlen in Italien. Da wurde mir mit einem Schlag klar, dass sich das Coronavirus in Italien exponentiell ausbreitet!

Daraufhin habe ich am Rosenmontag …

  • meine Aktien (leider nicht viele) verkauft
  • einen Hamsterkauf getätigt (damals noch unter’m Radar)
  • versucht, meiner Frau (Melanie Friederichs) klarzumachen, dass ich nicht vollständig bescheuert bin (hat nur so halb funktioniert)

Da Melanie sich als stellvertretende Schulpflegschaftsvorsitzende an dem Gymnasium unserer Kinder engagiert, waren wir in der Folgezeit sehr mit den Auswirkungen der Corona-Krise in Italien auf eine von der Schule geplante Skifreizeit beschäftigt. Um die vielen Anfragen von allen Seiten beantworten zu können, haben wir beschlossen, eine Webseite www.covid-19-infektion.de anzulegen, auf der wir die wichtigsten Fragen zur Corona-Krise alltagstauglich beantworten wollten.

So waren wir in der Folgezeit immer gut informiert. Durch unsere Webseite und die Tätigkeit im Studienhospital Münster (Melanie leitet das QVM-Projekt “Fit for Work – next level”) war es schon fast zwangsläufig, dass die Idee zum Projekt MediCOVID immer konkretere Formen annahm.

Dabei lag ich auch häufig falsch. So habe ich noch bis zum 12.03.2020 behauptet, dass Schulschließungen nicht passieren werden (die Schulen wurden am 13.03.2020 geschlossen!). Ich möchte hiermit sagen, dass trotz aller Bemühungen, auf dieser Webseite möglichst richtige Informationen vorzuhalten, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Fehler auftauchen werden. Wenn Ihr welche findet (und am besten die richtigen Informationen belegen könnt), würde ich mich über eine Nachricht an freuen!

Obwohl ich mir sehr darüber bewusst bin, dass wir uns fast alle mit SARS-CoV-2 anstecken werden, hoffe ich, dass wir alle die Corona-Krise gesund und mit einem optimistischen Blick in die Zukunft überstehen.

100 Tage – ein kritisches Zwischenfazit

Wie oben beschrieben, begann für mich das persönliche Erleben der Corona-Pandemie am Rosenmontag. Hundert Tage später wollte ich in bewährter politischer Tradition eine kritische Rückschau vornehmen.

Dieser möchte ich mich aus zwei Perspektiven nähern: einmal aus einer professionellen, sprich medizindidaktischen Perspektive, bei der es um die Themen Wissenschaft in der Politik, Homeschooling und Digitalisierung geht. Andererseits möchte ich auch eine persönliche Perspektive einnehmen in der ich mich als Vater von drei Kindern gerne mit dem Thema Generationengerechtigkeit auseinandersetzen möchte.

Achtung!

Hier handelt es sich um eine sehr persönliche, evtl. überspitzte Wahrnehmung des Autors!

die professionelle Perspektive

In noch nie dagewesener Intensität musste sich die Bevölkerung im Rahmen der Corona-Pandemie mit den Unsicherheiten und auch Widersprüchlichkeiten des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns auseinandersetzen. Die “sich in Zeitlupe abspielende Naturkatastrophe” (Prof. (sic!) C. Drosten) zwang uns alle gebannt vor Verlaufskurven, Wahrscheinlichkeiten, Risikobewertungen und Kennziffern (Verdopplungszeit, R-Wert). Die tägliche Pressekonferenz des RKI wurde auf diversen Kanälen übertragen und live kommentiert, in keiner Talkshow durften rennomierte Wissenschaftler fehlen. Deutschland war froh (und stolz), eine promovierte Physikerin als Bundeskanzlerin zu haben, die spontan über zu erwartende Effekte von Veränderungen bestimmter Kennziffern referieren konnte. Man hatte das Gefühl, als sei die Politik von wissenschaftlichen Erkenntnissen geleitet, ja fast schon angeführt worden. Die Politik sah es als ihre Aufgabe, die schwierigen Erkenntnisse und deren weitläufige Konsequenzen der Bevölkerung in verständlicher Weise zu vermitteln, um so die Mitarbeit und das Mitwirken aller zu sichern.

Dies war umso erstaunlicher, da ich aus meiner eigenen Forschung um das allgemein bescheidene Verständnis von Statistik weiß. So z.B. haben auch gebildete Ärzte große Probleme, einfachste statistische Zusammenhänge richtig zu interpretieren. (So verstehen von uns untersuchte Allgemeinmediziner in mehr als 7 von 10 Fällen den positiven Befund eines Brustkrebs-Screenings komplett falsch ([17], Preprint-Version)) Ähnliches gilt für das praktische Verständnis von Wachstumskurven.

Im Nachgang habe ich leider den Verdacht, dass die Wissenschaft nur allzu gern als Rechtfertigung für die zu verbreitenen schlechten Nachrichten hinhalten musste. Als es nach ein paar Wochen wieder darum ging, frohe Botschaften (also Lockerungen) zu verkünden, wurde der Rat der Wissenschaft gerne ignoriert (z.B. die Wiederaufnahme des Spielbetriebs der Fussball-Bundesligen [übrigens anfangs nur für Männer(?!?) – eigentlich eine Risikogruppe].

Allerdings: Zu Beginn der Pandemie mussten sehr viele Entscheidungen unter sehr hohem Zeitdruck und unter hoher Unsicherheit gefällt werden. So ist es auch im Nachhinein verständlich, dass quasi alle Bereiche des öffentlichen Lebens heruntergefahren wurden und – quasi aus einem Versteck heraus – die Lage neu sondiert wurde. Nichtsdestotrotz wurden einige Entscheidungen gegen besseres medizinisches Wissen getroffen, die weiterhin andauern, z.B. die Bestimmungen zum Tragen von Stoffmasken (siehe Kapitel Verbreitung des Virus).

Besonders kritisch sehe ich die Schulschließungen, die zudem noch mit einem nicht absehbaren aktuellem und zukünftigem Schaden für die betroffenen Kinder und Eltern (und auch deren Arbeitgeber) einhergehen. Es gibt eine klare Evidenz gegen den Nutzen der Schulschließungen ([18]) und zusätzlich sehr klare Hinweise für die auftretenden Schäden. Meine drei Kinder (2., 8. und 10. Schuljahr) kommen nach aktuellem Stand in den 13 Schulwochen seit dem 13. März bis zu den Sommerferien auf 11 Schultage mit insgesamt (!) 44 Unterrichtsstunden. (Das ist weniger, als wir innerhalb eines MediCOVID-Schulungstages abgeleistet haben.)

Die Hoffnung, die bleibt, ist, dass wir aus dieser zwanghaften Digitalisierungsphase viel lernen werden. Waren Gespräche und Diskussionen zum Thema Digitalisierung vor der Corona-Pandemie eher wie Schattenboxen (“Wir müssen unbedingt die Digitalisierung vorantreiben …”, “Wir sind bei der Digitalisierung so weit hinterher …”, “Das Potenzial der Digitalisierung ist so groß …”) MUSSTEN jetzt alle tief in das Thema einsteigen. Ich freue mich schon auf die Diskussionen, die wir nach Beendigung dieses Schuljahres bzw. Semesters über Digitalisierung führen können. Alle werden bis dahin viele Erfahrungen in technischer, organisatorischer und auch persönlicher Sichtweise gesammelt haben, so dass wir an einem vollkommen anderem Punkt angekommen sein werden. Wir werden außerdem viel konkreter wissen, was denn die Schulen und Universitäten als Lernort ausmacht, wo sie durch die Digitalisierung nicht zu ersetzen sind.

die persönliche Perspektive

Der heikelste Punkt meines 100-Tage-Zwischenfazits betrifft die Generationengerechtigkeit. Es ist sehr schön zu sehen, wie sich die jüngeren Menschen (sprich: unter 50 Jahre) in Deutschland fast hundertprozentig hinter die erforderlichen Maßnahmen der Pandemie gestellt haben. Abiturienten haben auf ihren Abisturm und entsprechende Feiern verzichtet, Kinder und Jugendliche verzichten auf ihr Recht auf Bildung, Erwachsene gehen in Kurzarbeit. Dazu werden noch zig Milliarden Euro Schulden aufgenommen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Schulden, die natürlich in späteren Jahren zurückgezahlt werden müssen.

Zusammengefasst verhalten sich die jüngeren Menschen mit der Einhaltung des Lockdowns in der Corona-Pandemie höchst solidarisch gegenüber den älteren Menschen, um diese vor einer Infektion durch das Coronavirus zu schützen.

Leider muss man aber festhalten, dass dafür die jüngeren Menschen an den erforderlichen Entscheidungsprozessen nicht in entsprechendem Maße beteiligt werden. Es ist auffällig zu sehen, dass die politischen Entscheidungsgremien, Task Forces und auch Talkshows primär mit Leuten besetzt sind, die in der Corona-Pandemie zu den Risikogruppen gehören (Menschen über 50 Jahre, männlich, Vorerkrankungen). Zugespitzt kann man formulieren, dass Betroffene über Maßnahmen entscheiden, die vornehmlich Nicht-Betroffene ausbaden müssen.

Ich möchte nicht behaupten, dass diese Entscheidungen automatisch schlecht sein müssen. Nur sieht eine Risikobetrachtung von potenziell Betroffenen einfach anders aus als von vornehmlich Nicht-Betroffenen. Natürlich müssen Betroffene bei Entscheidungen auch gehört werden – so hat sich in Deutschland eine großartige Kultur der Patientenvertretung etabliert, die einen festen Platz in Entscheidungsgremien hat (häufig aber auch nur beratend). Es ist aber äußerst bemerkenswert, dass in der Corona-Pandemie die potenziell Betroffenen mehrheitlich die Entscheidungen beeinflussen.

Es ist zu hoffen, dass in den zukünftigen Beschlüssen, die in unserem Land gefällt werden müssen, das herausragende Engagement der jüngeren Generationen entsprechend gewürdigt und berücksichtigt wird. Dies gilt insbesondere für anstehende Entscheidungen bezüglich des Klimawandels. Zur Bewältigung der aktuellen Krise wäre z.B. ein Verzicht auf die in Kürze anstehende Erhöhung der Renten möglich. Dies wäre ein klares und zukunftsorientiertes Zeichen der älteren Generationen.

Nachtrag

16.06.2020: Seit heute ist die “Corona-Warn-App” als Download verfügbar. Obwohl schon früh angekündigt, dauerte die Bereitstellung etwas, da viele Probleme in puncto Datensicherheit und Kompabilität erst noch gelöst werden mussten. Es gab viel Kritik, die vor allem die initial angedachte zentrale Sammlung der hoch sensiblen Gesundheitsdaten betraf.

Umso überraschender fiel dann jetzt das Ergebnis sehr sehr positiv aus. Aus meiner Sicht als Data Scientist stellt diese App bezüglich Datensicherheit, Transparenz und Zielorientierung einen Meilenstein in der Digitalisierung dar!

Ich kann die Nutzung dieser App nur empfehlen!